Man hatte diesmal sehr effektiv erfüllt, was schon in der Charta der Hamas an prominenter Stelle geschrieben ist. Ein Zitat aus Al Bukhari (Hadithen, also muslimische Überlieferung, es ist aus dem ersten und wichtigsten): „Oh Muslim, oh Diener Allahs, hier ist ein Jude, der sich hinter mir versteckt. Komm und töte ihn!“
Und es war in meinen Augen kein Terrorangriff auf Israel, sondern ein Pogrom einfach an Menschen, wie es sie über Jahrhunderte immer wieder gegeben hat. Der Grund: Es sind Juden. So gesehen doch nicht „wahllos“. Auch die Proteste gegen die begonnene harsche Reaktion des israelischen Staates waren kurz zuvor erst einmal etwas anderes: Freudenfeste, die es in so vielen größeren Städten weltweit in den muslimisch geprägten Communities angesichts des Pogroms gab. Sie scheinen vor allem in der westlichen Welt auf den Straßen inzwischen auch eine gewisse Übermacht demonstrieren zu können. Diese Freudenfeste gehörten auch zu meinem Schock, obwohl wir das ja seit vielen Jahren kennen. Es wurden schon lange die übelsten Sprüche gegen Israel skandiert, oft auch einfach gegen Juden. Und es sind nicht „einige“, die zu Gewalt gegen jüdische Institutionen aufrufen, sondern da ist ja leider doch eine sichtbare Mehrheit, denke ich. Und es ist auch keine „Spirale“ der Gewalt, wie wir es ja seit Jahrzehnten in den Medien hören. Denn es kamen zugleich massive Raketen-Angriffe, die der Iron Dome in Israel nicht mehr alle abhalten konnte. Das muss man stoppen, denn in diesem kleinen Land sind es ja keine „militärischen Ziele“, sondern offenbar angestrebte Killing Fields. Das bedeutet: Es soll nichts mehr übrigbleiben vom „zionistischen Gebilde“. Das war schon, noch lange vor der Hamas, seit 1947 das Ziel verschiedener arabischer Kräfte und Gruppen, zunächst die Gründung und dann den gegründeten Staat zu beseitigen. Früher weniger islamisch bzw. religiös begründet, es herrschte der Pan-Arabismus, der all die arabischen Staaten in eine große nationalistische Einheit führen wollte. Da störte selbst der kleine Streifen Israel, den die UNO nach der Shoa den Juden zugebilligt hatte und 5 arabische Armeen wollten die Gründung des Staates 1948 rückgängig machen. Doch es ist ihnen nicht gelungen.
Ich weiß auch, dass die israelische Armee es nicht darauf anlegt, Zivilisten zu töten, aber durch Raketen-Abschussrampen nah bei zivilen Einrichtungen immer wieder damit konfrontiert ist. Und diese Schläge bringen ebenfalls schreckliches Leid. Trotz der Hamas-Videos tendiert nun eine breite Öffentlichkeit zu der Ansicht, Israel hatte schon immer Gaza einnehmen wollen, um das Land zu vergrößern. Vergessen die Übergabe Gazas im August 2005 durch ausgerechnet Ariel Sharon an die Palästinensische Autonomiebehörde: „judenrein“. Israel war nie „araberrein“. Es gibt nicht mal so ein Wort.
Auch in der DDR hatte es damals jeden Tag in den Zeitungen Artikel über den „Aggressor Israel“ gegeben. In den letzten 20 Jahren wurde es aber in der ARD-Tagesschau ganz ähnlich beschrieben. Die Anwesenheit der UNO hat bisher auch noch nie geholfen. Das bedeutet jetzt nicht, dass ich eine Bodenoffensive oder gar den Gedanken der Vergeltung begrüße. Es sollen die Geiseln befreit werden und die Grenzen wieder sicher sein. Ich denke auch an viele der einfachen Menschen in Gaza, die nun ebenfalls schlimm leiden und durchaus dieses Pogrom nie gewollt hätten. Dass das so ist, weiß ich von meiner Schauspiel-Kollegin Miriam Sachs, die in Gaza direkt und später auch per Zoom mit einer Gruppe von herzlichen Menschen Theaterprojekte realisierte.
Ich mag und kann mir gar nicht vorstellen, dass Netanyahu oder seine Berater oder sonstige Funktionäre ein solches Pogrom wissentlich in Kauf nahmen oder gar selbst initiierten als „False Flag“, um das Volk wieder zu vereinen. Ich habe so viele Konzerte in Israel gegeben. Wenn keine Raketen darauf fallen, ist es ein so cooles, entspanntes Land im Alltag. Die Städte, vor allem im Norden, sehen übrigens aus wie Berlin-Kreuzberg im Sommer – wegen der vielen Kopftücher. Es gibt doch immer noch Leute, die glauben, Israel wäre ein Apartheidsstaat und es würden keine Araber da leben. Sie sind aber da, im Parlament, in den Universitäten, am Strand, überall. „False Flag“ bedeutet, dass nur scheinbar ein Gegner oder Feind einen Angriff startete, in Wirklichkeit es aber die eigenen Leute ausführten. Dass das so am jenem 7. Oktober gewesen sein müsse, vermuten immer mehr Menschen ganz offen in verschiedenen alternativen Medien, das wird aber auch impliziert in Politikerreden und in der Haltung der üblichen Medien. „Aggressor Israel“ eben. Doch ich denke an die Statements der Soldatinnen, die durch einen lang geplanten digitalen Hackerangriff vom Netz abgeschnitten wurden und keinen Zugriff mehr auf die Kontrolle der Grenzzäune hatten, wo vorher bekanntlich eine Katze schon Alarm auslösen konnte. Viele dieser Frauen gehörten dann wohl auch zu den ersten Ermordeten. Und es ist ja der Shin Bet, der Inlandsgeheimdienst, zuständig. Von offizieller Seite gibt es nur die Erklärung vom Chef dieses Geheimdienstes, dass es nicht möglich war, die Warnungen herauszugeben, und dass er die volle Verantwortung übernähme. Dennoch bin ich auch, gelinde gesagt, erstaunt, dass das möglich war. Und: die Ideologie der Hamas und anderer Gruppen hat genau das immer gesagt: Tötet die Juden, wo ihr sie zu fassen bekommt. Das lernen dort schon die Kinder, ganz offiziell.
Die Ideologie, die hinter solchen Attacken steht, kennen wir schon lange. Menschen wie Ahmad Mansour, Hamed Abdel-Samad, Seyran Ateś, um nur einige in Deutschland zu benennen, haben uns darüber aufgeklärt. Vieles von dem, was sie aufzeigen, wirkt sich auch stark auf die Migrationsprobleme in Europa und eben Deutschland aus. Dass der Ministerpräsident in Israel nach all den großen und eindrucksvollen Protesten gegen seine geplanten Gesetzesänderungen und gegen die rechte Regierung von diesen Vorgängen profitiert, könnte erst einmal sein. Aber die Wahrheit ist: Wenn es – hoffentlich bald – wieder zu einer gewissen Ruhe kommt, ist er eh erledigt. Noch schlimmer als seine Regierungspolitik dürfte für sehr viele jetzt das Versagen der Sicherheit in Gaza sein.
Und wir hier? Es ist anscheinend alles wie immer, es betrifft ja „nur“ die Juden, die als solche erkennbar sind oder bekannt sind oder dafür gehalten werden. Nein, Angst habe ich nicht. Ich geh vielleicht nicht überall hin. Ich war bei der ersten Kundgebung am 8. Oktober 2023 am Brandenburger Tor und traf viele gute Leute und Freunde. Aber den meisten auf dem Podium vertraute ich nicht so recht. Und das Raunen über bzw. gegen Juden war nie weg. Ich war nie ein politischer Aktivist, habe aber das „Nie wieder Faschismus“ immer ernst genommen. Heute denke ich, all die Gedenk- und Mahnveranstaltungen haben überhaupt keinen Sinn gehabt. Aber das denke ich nicht erst seit jetzt, sondern es kam mir im Januar 2022 in den Sinn, als bei einer solchen Veranstaltung eine Studentin „Querdenker“ und die NSDAP gleichsetzte. Menschen werden immer wieder im Zweifel in den Fanatismus gebracht. Man muss ihnen nur sagen, es sei Solidarität oder Gerechtigkeit oder alternativlos, also „das Gute“. Es muss nur einer definieren. Der Hitler-Faschismus wird auch weiterhin immer stärker bekämpft, je länger seine Zeit in der Vergangenheit liegt. Gratismut.
Und ich habe auch nicht vergessen, was zum Beispiel in Paris schon passiert ist. Hier nur drei der vielen Namen: Ein 23-jähriger wurde zwei Tage lang gefoltert und dann bestialisch ermordet: Ilan Halimi. Dann denke ich an die 83-jährige Mireille Knoll: Elf Messerstiche und in der Wohnung verbrannt, eine Holocaust-Überlebende. Ich hatte, wenn ich in Paris war, ganz in der Nähe immer mein Zimmer. Oder suchen Sie nach der Geschichte der 63-jährigen Lucie Halimi, einer Kinderärztin, die nachts aus dem Bett gezerrt und dann aus dem Fenster geworfen wurde. Ihr aller Verbrechen: Sie waren Juden.
Zuerst erschienen als Interview auf: https://apolut.net/interview-mit-dem-saenger-karsten-troyke/